Artikel zur Jungtaubenkrankheit

Der nachstehende Text von Dipl.-Ing. agr. Ulrich Schäfer wurde erstveröffentlicht
in der Zeitschrift „Die Brieftaube“, Ausgabe 25/2006.

Dipl.-Ing. agr. Ulrich Schäfer

Immunität und Antikörper im Blut von Brieftauben

Die gesundheitlichen Probleme im Brieftaubensport reißen nicht ab. Ein Dauerthema, das uns schon seit Jahren beschäftigt, ist die Jungtaubenkrankheit. Wir wissen heute, dass ein Auslöser dieser Krankheit Primärerreger (z.B. E. coli, Salmonellen), Sekundärerreger (z.B. Trichomonaden, Kokzidien) aber auch Viren sein können. Problematisch wird die Jungtaubenkrankheit, wenn Viren zu den Primär- oder Sekundärerregern stoßen. Die Viren zu bekämpfen ist äußerst schwierig. Ein geeigneter Impfstoff ist noch lange nicht in Sicht.

Es besteht aber eine Chance ihren Wirkungsbereich einzudämmen, indem versucht wird, die Immunität der Taube zu stärken. Nun gibt es aber, was die Immunität betrifft, ein Problem: Immunität kann man nicht sehen. Vor diesem Hintergrund haben Frau Prof. Dr. Dr. Helga Gerlach und ich schon vor Jahren Überlegungen angestellt, wie Immunität messbar ist bzw. plastisch darstellbar ist.

Wir sind von der Grundidee ausgegangen: Immunität steht in Beziehung zu Antikörpern im Blutserum. Antikörper, wie z.B. die gegen das aviäre Paramyxovirus, sind ja messbar. Eine Veränderung eines bestimmten Antikörpertiters ist also darstellbar. Vor diesem Hintergrund haben wir Jahr für Jahr erfolgsversprechende Immunmodulatoren gestestet. Die Ergebnisse waren, um es vorwegzunehmen, negativ. Wir haben keine Beeinflussung des Antikörpertiters  gegen das aviäre Paramyxovirus feststellen können. Sollte es vielleicht das falsche Prüfverfahren sein?

Ein glücklicher Zufall führte uns vor einem Jahr auf die richtige Spur. Herr Prof. Dr. Kaleta von der Justus-Liebig-Universität Giessen, der uns in den Jahren vorher schon mit seinem Fachwissen begleitet hat und an seiner Universität die Antikörpertests durchführen ließ, erkannte in den Versuchsergebnissen von 2004 relativ hohe und gleichmäßige Antikörperwerte mit einer sehr geringen Varianz. Er wusste aus jahrelanger Erfahrung, dass die Streuung der Antikörperwerte normalerweise relativ hoch ist.

Was war im Jahr 2004 passiert? Die erste Charge meiner neuen Bakterienkultur (RS-12, lactobacillus salivarius) war fertiggestellt, und bevor ich sie für den Markt freigeben wollte, sollte sie in vivo (am Tier) auf Wirkung und Verträglichkeit  getestet werden. Für diesen Test hatte ich aber nur meine „Versuchstauben“, die später für den Immuntest benötigt wurden, zur Verfügung. So hatten alle „Versuchstauben“ in den letzten 2 Wochen vor offiziellem Versuchsbeginn in hoher Konzentration den RS-12-lactobacillus erhalten. Das Ergebnis in diesem Jahr war, dass zwischen Kontrollgruppe und den Versuchsgruppen hinsichtlich der Wirkung der Immunmodulatoren keine Unterschiede feststellbar waren, die Antikörpertiter aber in allen Gruppen, auch in der Kontrollgruppe, relativ hoch und sehr ausgeglichen waren. Diese geringe Schwankungsbreite in den Antikörpertiterwerten hatte Herrn Prof. Dr. Kaleta sehr nachdenklich gemacht, und er regte an, den Test nochmals in einem Jahr zu wiederholen. In diesem Test sollte aber dann der RS-12-lactobacillus auf mögliche immunstimulierende Wirkung geprüft werden.

Diesen Test (im Jahr 2005) mit den entsprechenden Ergebnissen, die doch sehr viel Brisanz in sich bergen und sicherlich auch eine heiße Diskussion entfachen werden, will ich hier darstellen.

Versuchsanordnung

1.1 Material
Für den Versuch standen 51 Jungtauben im Alter von 14-22 Wochen zur Verfügung. Diese Jungtauben wurden nach dem Zufallsprinzip auf 3 Gruppen (1 Kontrollgruppe und 2 Versuchsgruppen) zu je 17 Tauben  aufgeteilt.

1.2 Methoden und Behandlungen

Den Tauben aller 3 Gruppen wurde von der Tierärztin Dr. Ahrens-Hemmen (Paderborn/Marienloh) an einem Stichtag Blut entnommen und aus dem sie Serum für die weiteren Untersuchungen herstellte. Das gewonnene Serum wurde in der Justus-Liebig-Universität Giessen von Herrn Prof. Dr. Kaleta auf Antikörper gegen das aviäre Paramyxovirus Typ 1 (Stamm F) mit dem Hämagglutinationstest (HAH-Test) untersucht.
Nach der Kontrollblutentnahme wurden die Tauben aller 3 Gruppen von Frau Dr. Ahrens-Hemmen gegen Paramyxo geimpft.
Die Blutkontrollen auf Antikörper gegen das aviäre Paramyxovirus wurden bei allen Tauben der 3 Gruppen zweimal im Abstand von 4 Wochen nach Stichtag wiederholt.

1.2.1 Kontrollgruppe
Die Kontrollgruppe erhielt nur die Paramyxo-Impfung.

1.2.2 Versuchsgruppe 1
Der Versuchsgruppe 1 wurden 7 Tage vor und 14 Tage nach der Paramyxo-Impfung in einer Dosis von 2 x 108 /Taube und Tag RS-12-Laktobazillen appliziert.
Mit einer Unterbrechung der RS-12-Behandlung von 21 Tagen erhielt die Versuchsgruppe 1 nochmals bis zur 3.Blutuntersuchung 3 Wochen in der obigen Dosis RS-12-Laktobazillen appliziert.

1.2.3 Versuchsgruppe 2
Hinsichtlich der Applikation der RS-12-Laktobazillen wurde in der Versuchsgruppe 2 genauso verfahren wie in der Gruppe 1. Das heißt: sie erhielt 2 x über 3 Wochen  in der gleichen Zeit die RS-12-Laktobazillen appliziert.
Um zu sehen, inwieweit sich eine optimal ausgerichtete Futterergänzung auf die Bildung der oben erwähnten Antikörper auswirkt, wurde in dieser Versuchsgruppe das Körnerfutter 7 Tage vor und 14 Tagen nach der Paramyxo-Impfung ergänzt durch:

  • Eiweiß über Hefeprodukte
  • Beta-Glucane als Isolat aus Hefezellwänden
  • einen Aminosäurepool aus 17 verschiedenen essentiellen und nicht essentiellen Aminosäuren
  • Vitamin C in organisch hoch verfügbarer Form
  • Selen in organisch gebundener Form
  • Spurenelemente als Chelate und Jod in organisch gebundener Form
Versuchsergebnisse

2.1 Kontrollgruppe
Die Tabelle 1 zeigt, dass alle Tauben dieser Gruppe am Stichtag (= 1. Blutuntersuchung), das heißt, vor der Paramyxo-Impfung einen HAH-Titer <1 hatten. Das bedeutet, die Tauben hatten im Serum zu Beginn des Testes keine Antikörper gegen das aviäre Paramyxovirus vom Typ 1 (Stamm F).
Bei der 2.Untersuchung (4 Wochen nach Paramyxo-Impfung) konnte bei 14 Tauben dieser Gruppe eine ausreichende Antikörpermenge festgestellt werden. Bei 3 Tauben lag der HAH-Titer bei 3. Berücksichtigt man nun die Faustregel, dass ein HAH-Titer von > 3 für eine ausreichende Immunisierung schon vorhanden sein sollte, so ist dies Ergebnis nicht zufriedenstellend.
Die 3.Blutuntersuchung sollte eine Aussage darüber treffen, inwieweit die Antikörperwerte im Blut stabil sind. Man sieht deutlich in der Tabelle, dass der HAH-Titer bei allen Tauben gesunken ist. Nur bei 2 Tauben konnte ein noch zufriedenstellender HAH-Titer-Wert ermittelt werden.

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2.2 Versuchsgruppe 1

Wie die Tabelle 2 zeigt, konnten bei der 1.Blutuntersuchung am Stichtag vor der Paramyxo-Impfung keine Antikörper gegen das aviäre Paramyxovirus vom Typ 1 gefunden werden.
Die 2.Blutuntersuchung zeigte bei allen Tauben dieser Gruppe ausreichend hohe Antikörpertiter-Werte an. Bemerkenswert ist, dass der Antikörpertiter innerhalb der Gruppe sehr ausgeglichen war. Antikörpertiter mit einer derartigen geringen Varianz innerhalb einer Untersuchungsgruppe findet man laut Aussage von Herrn Prof. Dr. Kaleta normalerweise nicht.
Beachtenswert ist ebenfalls, dass in der Versuchsgruppe 1 der absolute durchschnittliche HAH-Titer um ca. 25 % höher liegt als in der Kontrollgruppe.
Bei der 3.Blutuntersuchung (= 8 Wochen nach der Paramyxo-Impfung) konnten keine nennenswerten Antikörper mehr gefunden werden. Hierzu werde ich in der späteren Diskussion noch äußern.

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2.3 Versuchsgruppe 3
Auch in dieser Gruppe waren bei der 1.Untersuchung im Blutserum der Tauben keine Antikörper gegen das aviäre Paramyxovirus vom Typ 1 nachweisbar.
Die 2.Untersuchung (4 Wochen nach Paramyxo-Impfung) zeigte, dass der Antikörpertiter so hoch lag, dass für alle Tauben dieser Gruppe genügend Impfschutz vorhanden war. Die Ergebnisse waren hier praktisch nahezu identisch mit der Versuchsgruppe 1. Die Antikörpertiter-Werte lagen auch hier um durchschnittlich ca. 25% höher als in der Kontrollgruppe.
Bei der 3.Blutuntersuchung war ein deutliches Absinken der Antikörper, wie auch in den vorherigen Gruppen, zu beobachten. Der Sturz war aber nicht ganz so heftig, wie in der Versuchsgruppe 1. Bemerkenwert ist, dass nur eine Taube den anzustrebenden Grenzwert von 4 des  HAH-Titers erreicht hat.

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Diskussion der Ergebnisse

Die Versuche sollten zeigen, inwieweit spezielle Laktobazillen einen Einfluss auf Antikörper im Blut von Tauben und damit auf die Immunität nehmen können.

Für alle Beteiligten war überraschend, dass es möglich ist, über spezielle Laktobazillen (RS-12-Laktobazillen) die Antikörperproduktion in diesem Umfang zu steigern. Eine Erhöhung der Antikörperproduktion bedeutet gleichermaßen eine bessere Immunität für die Tauben.

Die Futterzusätze in der Versuchsgruppe 2 haben keinen zusätzlichen Produktionsschub an Antikörpern gebracht. Was die Beta-Glucane anbetrifft, war das für uns auch in diesem Fall keine Überraschung, da in den Tests vorangegangener Jahren diese speziellen Glucane aus Hefezellwänden auch keinen Anstieg der Antikörper gegen das aviäre Paramyxovirus bewirkt haben.
Bemerkenswert war, dass in allen 3 Gruppen die Antikörper-Werte von der 2. zur 3.Blutuntersuchung sich deutlich verringert haben. So hatten bei der 3.Blutuntersuchung von 51 Tauben nur noch 3 Tauben akzeptable Antikörper-Titer-Werte.
Allgemein ist bekannt, dass Antikörper abgebaut werden, wenn der Stoffwechsel hochgefahren wird. So ist auch das Absinken des Antikörper-Titers in den beiden Versuchsgruppen erklärbar. Die Laktobazillen, in dieser hohen Dosis und in den kurz hintereinander geschalteten langen Applikationsintervallen, haben für eine intensive Stoffwechselbelebung geführt. Dies ist ein Beispiel dafür, wie es nicht gemacht werden sollte.

Dazu muss man folgendes verstehen: Die Immunität kann nur kurzfristig hochgefahren werden. Man muss sie auch wieder sinken lassen. Dies muss ein ständiges Wechselspiel sein.  Wird versucht, die Immunität auf einen hohen Pegel anzusiedeln, reagiert die Immunität auf äußere Reize auf die Dauer nicht mehr. Es ist ein Fehler, wenn der Taubenzüchter versucht, angespornt durch die Werbeversprechen, ständig den Tauben Produkte zur Immunstimulierung zu verabreichen. Das Immunsystem wird abstumpfen und nur noch eine geringe oder im schlimmsten Fall gar keine Reaktion mehr zeigen.

Wie wir aber gesehen haben, ist es möglich, über die RS-12-Laktobazillen regulierend in das Immunsystem einzugreifen. Für die Applikation der Laktobazillen zur Immunsensibilisierung bleibt festzuhalten, dass sie ohne Probleme einmal über einen längeren Zeitraum und in einer entsprechend hohen Dosis verabreicht werden können. Man muss jedoch bei längeren Applikationsintervallen auch längere Pausen zwischen den Behandlungen einhalten. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass die Laktobazillen nur über einen kurzen Applikationszeitraum (z.B. 2 x wöchentlich) gegeben werden; so wie ich es in der Brieftaubenreise vorsehe. Für ein funktionierendes Immunsystem ist es also wichtig, Inputs zu setzen.  Eine ständige Zugabe von sogenannten Immunmodulatoren wird für das Immunsystem nicht förderlich sein.

Ich denke, der Weg über spezielle Laktobazillen die Immunität der Taube zu fördern, wird einer der richtigen sein, wie die wissenschaftlichen Versuche gezeigt haben. Eine bessere Immunität der Taube wird sicherlich auch zu einer Linderung unseres Jungtaubenkrankheitsproblem beitragen.

Dieser Bericht soll vor allem die Taubenzüchter dazu anregen, über Immunität einmal nachzudenken. Immunität ist, wie oben schon gesagt, nicht mit dem menschlichen Auge sichtbar. Das diese aber messbar, bzw. in Zahlen auszudrücken ist, haben die obigen Tests bewiesen.

Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle vor allem bei Prof. Dr. Kaleta, Prof. Dr. Dr. Gerlach und Dr. Ahrens-Hemmen, die mich bei den „Immuntests“ der letzten Jahre  immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben.